Garnele und Hummer
Einheimische wie Gastrotouristen kommen immer mehr auf den Geschmack der frischen, häufig qualitätszertifizierten Küche. Foto: Mark Neelemans

Nachhaltige Zucht

200.000-mal Steinbutt, mit Blick aufs ­imposante Oosterschelde-Sperrwerk, das klingt ein bisschen nach einem Horrorszenario, zumal Zucht + Restaurant prompt noch Seafarm heißen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Holländer sind nicht so technophob, wie es hierzulande gerade Mode ist, und zu ­Recht sehr stolz auf dieses Schutzwehr, das nur bei Flutgefahr geschlossen wird und verhinderte, dass die Oosterschelde von der Nordsee abgetrennt wurde. Denn das hätte bedeutet, dass Süßwas­ser mittelfristig das Salzwasser in der Oosterschelde verdrängt hätte, was wiederum großen Einfluß auf die Hummer- und Austernbestände gehabt hätte.  

Quellwasser aus der Oosterschelde nutzt die Seafarm für ihre Zucht und kann diese dank einiger Erfindungen von Gründer Adri Bout nachhaltig betreiben, ohne den Einsatz von Antibiotika oder Medikamenten. Anfang 2022 bekam Seafarm daher als erste Plattfisch-Zucht der Welt die begehrte ASC-Zertifizierung. Mittlerweile ist der Senior international als Berater für nachhaltige ­Fischzucht unterwegs, denn auch bei Textur und Geschmack der Erzeugnisse spielt das Unternehmen ganz weit vorne mit. Ein Truck pro Tag verlässt Seafarm beispielsweise in Richtung Frankreich, aber nicht mit Steinbutt, sondern einem weiteren erfolgreichen Zuchtprojekt, der Schwertförmigen Scheidenmuschel. Sie wird neben Austern, Steinbutt und sai­sonalen Fischen im Restaurant, das an eine blitzblanke, riesige Fischbude erinnert, serviert. Wer Entscheidungshilfe braucht, orientiert sich an Plexiglascontainern im Eingang. Sie sind mit den unterschiedlichen, präzise beschriebenen Austern bestückt. Ach so, die hand­geschnittenen Pommes frites sind ebenfalls wunderbar.

Eine Gasse in einer Holländischen Stadt
Foto: hpbfotos/stock.adobe.com

Wein muss sein!

Die pilzwiderstandsfähigen Reben (PIWI) machen’s möglich, dass auch in nördlichen Gefilden ohne viel Sonnen­einstrahlung oder passenden Boden mittlerweile Winzer aus dem selbigen sprießen. Nach dem Gin-Boom nun der nordische Wein-Boom, könnte man sagen. Und auf die meisten dieser Erzeugnisse getrost verzichten. Das Weingut De Kleine Schorre fällt auf den ersten Blick genau in dieses Schema. Aber sie bauen Rivaner, Grauburgunder, Weißburgunder und Auxerrois an, ließen sich ihr Handwerk vor 20 Jahren von Luxemburgern beibringen und locken ebenfalls ein neues Publikum in die Region. Wer gerne Wein verkostet und dann nicht mehr ins Auto steigen möchte, könnte sich überdies mal im Glamping ausprobieren, in einem ih­rer Tiny Houses im Weinfass. 

Die meisten Sonnentage im ganzen Land hätte man hier, sagt Winzer Johan van de Velde stolz, als er nach dem Erfolgsrezept seiner trinkbaren bis süffigen Weine gefragt wird. Bei der Frage, ob seine Region gegenüber den durch Hitze und Trockenheit gebeutelten Weinanbaugebieten in Spanien einen Vorteil besäße, muss er aber doch lachen. „Wir sind immer noch in Holland, die Arbeit im Weinberg ist eine tägliche Herausforderung!“ Sein Vater baute Kartoffeln und Rosenkohl an. Der Junior ahnte, dass sein Boden prima für Weinbau wäre dank der Mu­schelablagerungen, die für Kalk sorgen. „Unser Boden ähnelt dem des südlichen Bordeaux, wir brauchen keine PIWIs.“ Ein zahlungskräftiges Publikum schon, denn unter 20 Euro pro Flasche ist wenig zu bekommen. 

Damit das klappt, wird erfolgreich mit Hochzeiten und Location-Events hantiert, entsprechend hohe Qualität hat das Fingerfood. Marinierte rohe Gelbschwanzmakrele aus dem Zuchtbetrieb von Kingfish Zeeland oder ausgelöste pochierte Austern auf einem Risottobett findet man ja nicht flächendeckend beim Winzer. „Jedes Jahr können wir ein bisschen vergrößern“, sagt van de Velde denn auch und steht erfreut auf dem neuesten Zugang des Weinguts, einem Helikopterlandeplatz (!), instagramtauglich angelegt zwi­schen Reben und Windmühle. Der Region gefallen solche Ansätze für neue Zielgruppen. Sie unterstützt das Fa­milienunternehmen, das etwa 78.000 Flaschen pro Jahr produziert und in der Business Class von Air France/KLM ausschenkt. 

Ein Hafen
Vor allem Gäste aus dem benachbarten Belgien verstehen Genuss und wissen ihn etwas abseits zu finden. Foto: JWackenhut via Getty Images

Noord-Brabant: zwischen Natur und Genuss

In der anliegenden Provinz Noord-­Brabant ist es dagegen weniger spektakulär. Zum Wandern ist es dafür wunderbar, man golft, entdeckt Naturschutzgebiete, erradelt sich ohne E-Bike mühelos jede Ecke. Der soge­nannte Brainport Eindhoven ist ein weltweit agierender und erfolgreicher Technologie-Hub, die Hauptstadt s’Hertogenbosch ist Heimat des Malers Bosch, Vincent van Gogh war hier, Tilburg hat eine internationale Universität. Ganz dem Zeitgeist verschrieben, möchten die Offiziellen das kulina­rische Angebot präsentieren, das auf hippe Häppchen getrimmt oder mit dem Siegel Food-Konzept versehen ist. So wie überall in lifestyligen Regionen sind auf den ersten Blick Avocado, ­vegane „Mylkshakes“ und Shakshuka omnipräsent ebenso wie mehr oder weniger überraschende Weltküche. 

Ist aber auf den zweiten Blick Quatsch, denn viele Touristen kommen aus dem Nachbarland Belgien und verstehen Genuss. Die wissen auch, wo man suchen muss, nämlich ein bisschen außerhalb. So florieren in Tilburg in gediegener Umgebung (Golfplatz, geschmackvolle Eigenheime) gleich zwei Restaurants, die neu definieren, was die Gastro hierzulande noch nicht wieder so auf dem Zettel hat ... sehr gute Hausmannskost, elegant ins 21. Jahrhundert katapultiert, für den Gaumen genauso unkompliziert wie schlüssig. Lecker! 

Ein Straße mit Menschen
Foto: Peter de Kievith/stock.adobe.com

Detailverliebtes Fine Dining

Hofstede de Blaak bietet in denkmalgeschützten Räumlichkeiten und vor (für teuer Geld versicherten) antiken Delfter Kacheln mehrgängige Menüs – los geht’s mit drei Gängen für 38 Euro. Variationen vom Kalb mit Hals und Bries, aromatisiert mit der indi­schen Gewürzmischung Panch Phoran, ländliches Geflügel mit Senfsauce und schwarzem Knoblauch, hausgemachte Entenpâté mit Entenleber auf Brioche und Pistaziengarnierung als Amuse oder ein schönes Stück Kabeljau mit Ziegenbutter, Pastinake und Möhre sind klassische Beispiele für eine saisonale Karte. Immer ein Muss bei den Vor­speisen ist das Rindertatar, von Hand geschnitten, appetitlich versteckt in einem hauchdünnen Scheibchen Rinderfilet, mit Wachteleigelben und ebenso winzigen Schüpplingen garniert.   

Im Hotelrestaurant Auberge du Bonheur pachtet man sein eigenes Austernbett in der Oosterschelde und hat Pim de Wert einen USP mit veganer Küche entwi­ckelt, die nach Fine Dining aussieht und auch so schmeckt, beispielsweise ein Käse aus Mandeln, für den er nicht das eingeweichte Mandelmus zur üblichen unangenehmen Konsistenz verarbeitet, sondern das Abtropfwasser. Daraus wird etwas, das geschmacklich an sehr feinen Ziegenfrischkäse und von der Textur her an eine Wolke erinnert. 

Zur Topinambur gesellt sich Sanddorn, was die Süße der Wurzel auffrischt und sie leichter verdaulich macht. Über die Ravioli mit Entenfüllung und Mandeln lässt er Belper Knolle reiben und zwar in homöopathischer Dosierung, nicht aus Geiz, sondern weil die Harmonie der Zutaten im Vordergrund stehen soll. Und auch bei ihm geht’s schon bei den Details los, nämlich der von Hand gerührten Butter. Das ist noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass das Restaurant trotz des Fine-Dining-Anspruchs 170 Gäste bewirten kann und Tagungen ausrichtet. Viel Inspirationen also, nur einen Katzensprung entfernt. 

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