Kommentar

Touristen sind Gäste und keine Melkkühe

Warnschild vor „Overtourism“
In manchen Regionen gibt es sogar schon Kampagnen für die einheimische Bevölkerung, damit die Stimmung gegenüber den Touristen nicht kippt. (© fotolia.com/PhotoSG)
Im Gegensatz zu anderen Städten wird der Tourismus in Salzburg oder Wien noch als positiv angesehen. Die Betonung liegt auf „noch“. Eine Regulierung über die Preisschraube wäre trotzdem der falsche Weg.
Montag, 07.01.2019, 11:56 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

Venedig, Dubrovnik oder Barcelona sind inzwischen zu Synonymen für das Schlagwort „Overtourism“ geworden. (In Barcelona kommt noch dazu ein durch den Airbnb-Boom dramatisch teurer gewordener Immobilienmarkt für die Bewohner hinzu.) In allen drei Städten hat das Verhältnis von Einheimischen zu Touristen eine ungesunde Schlagseite bekommen, verschärft jeweils durch Tagestouristen von Kreuzfahrtschiffen, die zu tausenden gleichzeitig an Land gehen, dort aber nicht übernachten. Meist wird nur ein Getränk konsumiert, vielleicht ein Souvenir eingekauft, aber spätestens zum Abendessen ist man wieder an Bord. Die Wertschöpfung dieser Gästegruppe hält sich daher für die jeweiligen Städte meist in Grenzen.

In Venedig wird jetzt daher überlegt, die Stadt quasi offiziell „zum Museum zu erklären“ und bis zu zehn Euro Eintrittsgebühr von Tagestouristen zu verlangen. Andere italienische Städte wie etwa Florenz, das speziell im Sommer ebenfalls unter Touristenmassen ächzt, wollen bei dieser Maßnahme nachziehen.

Drehkreuze am Graben?
Und in Österreich? Müssen wir bald Drehkreuze am Graben in Wien, der Getreidegasse in Salzburg oder am Ortseingang von Hallstadt befürchten? So schlimm ist es wohl noch nicht, obwohl gerade in Hallstadt wahrscheinlich nicht mehr viel fehlt. In Wien ist die Lage trotz ständig neuer Tourismus-Rekordzahlen noch relativ entspannt. Wer zwischen Weihnachten und Silvester durch die Innenstadt spaziert ist, hat auf der Straße zwar kaum ein Wort Deutsch gehört, aber dieses Extrem beschränkt sich (noch) auf gewisse Zeiträume im Jahr. Zudem ist der Wiener Tourismus ein tendenziell eher hochwertiger. Trotzdem sind es in Wien nicht die Kreuzfahrtschiffe, sondern die Massen an Autobussen, die hier die oft ungeliebten Tagestouristen ausspucken und dabei nicht selten auch gleich ein massives Verkehrshindernis darstellen.

Eine Eintrittsgebühr für bestimmte Bereiche der Innenstadt wäre trotzdem die falsche Reaktion. Einerseits weil die Exekutierbarkeit wohl überaus komplex wäre, vor allem aber weil das Signal an alle Gäste ein verheerendes wäre: Man würde die halbe Stadt quasi zum Disneyland erklären und auch wenn ein paar Euro vom Gros der Touristen wohl problemlos zu verkraften wäre: Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Und wenn Gäste sich plötzlich nicht mehr willkommen, sondern als Melkkühe fühlen, dann ist es mit dem positiven Image einer Stadt bald vorbei. Dazu braucht es gar keine Eintrittsgebühren, auch die Wahrscheinlichkeit, von Taxifahrern, Lokalbetreibern, etc. übers Ohr gehauen zu werden (manipulierte Taxamater, unnötige Umwege, Speisekarten mit unterschiedlichen Preisen für Einheimische und Touristen, etc.) zählt dazu.

Wien ist nicht Venedig
Venedig mag ein Sonderfall sein, das Preisniveau in vielen Hotels und Restaurants war schon immer jenseits von Gut und Böse. Die 1100 Euro, die dort ein Lokalbetreiber vier japanischen Touristen für ein normales Mittagessen abknöpfen wollte, waren vor einem Jahr in allen Medien. („Unter Preis-Leistungs-Verhältnis versteht man hier offensichtlich, dass man sich dieser Preise erst einmal leisten können muss“, attestierten die österreichischen Kabarettisten Thomas Maurer und Florian Scheuba einst nach einem Besuch in der legendären Harry’s Bar.) In Salzburg oder Wien wird man sich solche Exzesse nicht leisten können. Nicht zuletzt weil die hiesige Hotellerie und Gastronomie im internationalen Vergleich tatsächlich noch ein faires Preisniveau bietet und Österreich auch dafür bekannt ist. Seien wir also froh, wenn es seit einigen Jahren mit Österreichs Tourismus ständig bergauf geht. Und sorgen wir dafür, dass Touristen bei uns auch in Zukunft noch als Gäste gesehen werden und nicht als wandelnde Bankomaten.

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