Tourismusforum Villach

„Anpassung an Massentourismus ist keine Prostitution“

Muslimische Frau verdeckt ihr Gesicht
Der Anblick mehr oder weniger verschleierter Frauen ist speziell in Zell am See im Sommer an der Tagesordnung – nicht immer zur Freude aller Einheimischen. (© fotolia.com/ dusanpetkovic1)
Tourismuszentren sollten auf ihre Besucher zugehen, anstatt sie als Bürde zu sehen, auch wenn sie in großen Massen anreisen, fordert Tourismusforscherin Nadine Scharfenort.
Freitag, 14.06.2019, 09:09 Uhr, Autor: Clemens Kriegelstein

„Sich als Tourismusort an Besuchermassen anzupassen, hat nichts mit kultureller ‚Prostitution‘ zu tun. Gastfreundschaft bedeutet Flexibilität gegenüber seinen Gästen, ohne dabei die eigenen Werte zu negieren. Deswegen müssen Tourismuszentren wie Zell am See auf ihre Besucher zugehen, anstatt sie als Bürde zu sehen, auch wenn sie in großen Massen anreisen“, sagte Nadine Scharfenort, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Tourismusforschung in der Deutschen Gesellschaft für Geographie, vor wenigen Tagen zum Auftakt der Europäischen Toleranzgespräche beim internationalen Tourismusforum in Villach.

In ihrem Vortrag zum Thema „Geld oder Leben: Was kostet unsere Identität?“ sprach die Tourismusforscherin über die Herausforderungen, die den modernen Tourismus angesichts der zunehmenden Flut an Besuchern erwarten. Als Beispiel dafür nannte sie die Gemeinde Zell am See, die jedes Jahr unter den massenhaft auftretenden Touristen aus dem arabischen Raum ächzt. „Viele Einheimische wissen nicht, wie sie mit Muslimen umgehen sollen. Dabei sind viele Beschwerden über sie völlig nichtig, beispielsweise, dass sie zu spät aufstehen. Wen stört das tatsächlich? Es wäre deswegen vernünftig, wenn Tourismusorte mit größerem Wissen über die Kultur und Umgangsformen ihrer Gäste an diese herangehen würden. Der kulturelle Austausch muss besser organisiert werden“, forderte die Tourismusforscherin.

Marketing muss Realität entsprechen

Ein großes Problem liege in der Vermarktung von Tourismusorten. Hier werde ein Bild gepflegt, das nur durch Klischees wie beispielsweise Einheimische in Dirndln und Lederhosen geprägt ist. Jedoch sei dadurch die Reaktion von Touristen negativer, wenn dieses Bild der Realität nicht entspricht. „Selbst arabische Touristen sind oft verärgert, dass es in Zell am See zu viele Araber gibt. Das entspricht nicht der Vorstellung, die ihnen vermittelt wurde. Das Marketing muss hier ehrlicher sein und zumindest im Ansatz die Realität zeigen. Touristische Zentren müssen stolz auf ihre Vielfalt sein“, erläuterte Scharfenort. Das sei vor allem nötig, weil sich der Massentourismus nicht mehr aufhalten lässt.

Bereits 2006 forderte Zell am See von der Österreich Werbung, das Marketing im arabischen Raum einzustellen, weil die Gemeinde schon damals ein vielbesuchter Hotspot für Touristen aus dieser Weltregion war. Jedoch hatte sich diese Entwicklung zu diesem Zeitpunkt schon zum Selbstläufer entwickelt und obwohl die Werbung gestoppt wurde, sind die jährlichen Tourismuszahlen bis heute weiter gestiegen. „Genau deswegen muss man seine Gäste besser kennen. Im arabischen Raum ist vor allem Mundpropaganda entscheidend bei Reisezielen. Man kann Touristen nicht einfach loswerden, also muss man sich besser auf sie vorbereiten“, so Scharfenort.

Authentischer Ort

Zell am See ist laut Scharfenort so beliebt, weil die Salzburger Gemeinde als authentischer Ort stellvertretend für Österreich wahrgenommen wird und weil sie verkehrstechnisch gut angebunden ist. „Ein weiterer Pluspunkt ist die relative Gastfreundschaft der Einheimischen. Zwar gibt es viele Ressentiments gegenüber arabischen Touristen, jedoch sind viele Einheimische immer noch hilfreich, was die Gäste sehr zu schätzen wissen. Es gibt durchaus Nachteile aufgrund dieser Touristenflut. Die Verkehrsstaus nehmen zu, die Parkplätze werden knapper und die Lärmbelästigung stärker. Jedoch wird der Massentourismus nicht einfach aufhören. Die Situation kann nur besser werden, wenn sie besser organisiert wird“, sagte Scharfenort.

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