Baltic Gastro Summit – Wissen macht wow in Vilnius
Die letzte Nachricht zuerst: Darius Katinas, Chef vom Bocuse d’Or Lithuania, und Organisatorin Vaidilè Katiniene planen für das kommende Jahr bereits eine Fortsetzung des Baltic Gastro Summits. Immerhin hatten sich schon in diesem Jahr 250 Köche, Produzenten und Weinhändler angemeldet.
Im 45-Minuten-Takt gaben sich internationale sowie lokale Foodexperten und Köche die Klinke in die Hand und referierten über Nachhaltigkeit, über Geschmack, darüber, wie ein Duft im Restaurant es möglich macht, in der Patisserie den Zucker zu reduzieren oder dass Fisch aus europäischen Gewässern japanischen Fischen qualitativ in nichts nachsteht.
„Wer Geschmack versteht, hat als Koch gleich einen besseren Zugang zu den Gästen“
Dass man sich einen Doktortitel auch in Geschmack holen und danach umgehend eine Karriere im Noma starten kann, bewies die Auftaktrednerin Arielle Johnson. Die promovierte Lebensmittelchemikerin aus New York gehörte schon als blutjunge Wissenschaftlerin dem Kader des berühmten Massachusetts Institute of Technology MIT an, leitete das Forschungslabor von René Redzepi, berät Ferran Adrià und versteht, wie man wissenschaftlich unterhaltsam präsentiert.
„Wer Geschmack versteht, hat als Koch gleich einen besseren Zugang zu den Gästen“, diese lapidare Aussage wird beispielsweise spannend, wenn man erfährt, dass der Mensch über 400 Genome für Geruch verfügt und nur über sehr wenige Genome für Geschmack. Aus ihrem Wissen und ihrer Leidenschaft für das Kochen hat sie ein überaus spannendes Buch gemacht: „Flavorama“ wird in der nächsten Print-Ausgabe der HOGAPAGE ausführlicher vorgestellt.
Von der Sterneküche zur gemüsebasierten Küche
Sebastian Frank vom Berliner Zweisterner Horváth berichtete hingegen über seinen kulinarischen Werdegang, der ihn von der klassischen Sterneküche hin zur gemüsebasierten Küche führte. Zwischendrin hatte er eine kulinarische Depression, weil ihm „der ganze Bullshit auf dem Teller“ gehörig auf die Nerven ging. Bei seinem Vortrag klapperte Frank ausdrucksstark mit einer Sellerieknolle im Salzteig herum, als sei sie eine Kastagnette.
So geht regional eben auch, mit Produkten wie Sellerie, die der Österreicher von zu Hause kennt. Aber bei ihm ist das simple Produkt nach einem Jahr Handling so zusammengeschrumpft, dass es sich mit großem Tamtam am Tisch aufbrechen und wie ein Trüffel über Gerichte reiben lässt. Perfektes Lieferantennetz hin oder her: „Im Horvàth schaffen wir Wert durch Zeit“, erklärt er denn auch.
Denke groß!
Der Kalifornier Matthew Orlando legt, obwohl erfolgreicher Koch mit Restaurants in Singapur und jetzt Kopenhagen, den Wert auf „Data!“ Nur mit Zahlen könne man Nachhaltigkeit schaffen: „Ein Restaurant produziert jährlich etwa 68.200 Kilogramm Abfall.“ Sein Ansatz: Hebelwirkung.
So gingen ihm die Brotreste im eigenen Restaurant gehörig auf die Nerven. In der Küche wurde getüftelt, heraus kam Miso. Ist ja nicht verkehrt. Dann ging Matthew Orlando zu einem dänischen Großbäcker für Sauerteig. „Jalm&B überließen uns alle schief gebackenen Sauerteigbrote, die sie ansonsten entsorgt hätten. Wir tüftelten weiter, irgendwann hatten wir Eiscreme. Und jetzt gibt’s davon eine ‚Eis am Stiel‘-Variante mit Schokomantel in jedem dänischen Supermarkt.“
Wenn man wirklich etwas bewirken will für die Umwelt, so sein Fazit, dann nutzt die Kooperation mit Handwerkskunst-Betrieben wenig, auch wenn sich so was dem Gast gegenüber erstmal schön vermitteln ließe. Man müsse groß denken.
„A la carte ist zurück“
Der vegane Koch Emile van der Staak vom holländischen De Nieuwe Winkel beschrieb hingegen sehr anschaulich, wie er kurz vor der Pleite stand mit seinem pflanzenbasierten Konzept, aber an selbigem festhielt und immer daran glaubte, dass „Essen ein Motor für Veränderung sein kann“. Zwei Sterne später ...
Klar – wie man einen Stern erkocht oder hält, war natürlich ein Thema. Denn auch wenn der Gewinn nicht zwingend ins Unermessliche steigt, ist ein Stern erst recht in Regionen wie dem Baltikum für die Köche mit einer internationalen Wahrnehmung verbunden, die sie ansonsten nie bekämen.
Als Ingo Hettig auf die Bühne kam, waren die Bleistifte gespitzt (okay, die Mobiles befeuert). Hettig hat aus seinem langjährigen Michelin-Wissen einen Beruf als Berater für die Gastronomie gemacht. Und bog alsbald mit einer erstaunlichen These um die Ecke: „A la carte ist zurück.“ Natürlich sei das für eine jüngere Köche-Generation, die an Tastingmenüs gewohnt sei, erstmal ein Lernprozess. Aber nötig, auch aus Kostengründen.
„A la carte kommt zurück.“
„Flavour-driven sustainability“
Kim Wejendorp, ein Kiwi aus einer der unterschätztesten Weinregionen Neuseelands, ist in der Stiftung Novo Nordisk beschäftigt. Dort liegt der Fokus auf Nachhaltigkeit.
Ein Aspekt seiner Forschung, die er auch an der Technischen Universität Dänemark betreibt, basiert auf der Tatsache, dass ein Viertel aller Treibhausgasemissionen aus Nahrungsmitteln entstehen, die gar nicht gegessen werden. Foodabfall, klar, jeder redet darüber, aber wie sehen Lösungsansätze aus, die sich breitenwirksam vermitteln lassen?
Er schlägt „flavour-driven sustainability“ vor: Nachhaltigkeit, Aroma und Geschmack schließen sich nicht aus. Wie auch Buddy und Geschäftspartner Matthew Orlando beschäftigt er sich mit Brot („während der Pandemie hatten wir alle Zeit der Welt für Experimente“) und hat beispielsweise aus altem Brot, das mit Pilzkulturen geimpft wurden, einen herzhaften, kauigen Burgerpatty entwickelt.
„Desserts sind der emotionalste Teil des Menüs“
Beim Zweisterner René Frank wurde es ganz still im Saal, als der einstige beste Patissier der Welt seinen Signature Dish baute – einen Lolli aus Topinambur und Datteln, ummantelt mit Kaviar. Klar, auch richtig großes Kino gehörte zum Baltic Gastro Summit; natürlich kennt jeder Anwesende das CODA im Detail, aber die wenigstens haben dort schon gegessen.
Dass „Desserts der emotionalste Teil des Menüs“ sind, war spätestens nach seinem Vortrag glasklar.
Ein kleines Zuckerl
Süß ging’s weiter, im Vortrag von Professor Charles Spence, jeder Zoll ein Oxford-Gentleman. Auf unvergleichlich englische Weise referierte er intellektuell, verschroben und höchst unterhaltsam über Restaurants.
Der frühe Supporter von Heston Blumenthal weiß um die Bedeutung von Ausstattung, Farben, Geräuschkulissen und Plating und tischte als kleines Zuckerl noch die Geschichte des Cafés auf, das in der hauseigenen Patisserie den Zuckeranteil erheblich senken konnte, weil die Musik im Café besonders herzig war.
„Wir Europäer haben noch sehr viel von den Japanern zu lernen“
Walt Sidoravicius, dessen Eltern aus Litauen nach Südamerika einwanderten und der wiederum auf Ibiza den (naheliegend benamsten) Omakase-Einsterner Omakase by Walt führt, bewies, dass mehrere Jahre als erster Ausländer in der Tokioter japanischen Hochküche ein Invest fürs Leben sind.
Während er Thunfisch schnitt, wurde und blieb es dann im Saal mucksmäuschenstill. Nur bei seiner Aussage, dass nordeuropäische Fische von der Qualität denen rund um Japan ebenbürtig sind, ging ein Raunen durch die Location, übrigens eine sehr geschmackvoll restaurierte Industrieanlage vor den Toren der Stadt. Aber dann setzte er als Erklärung nach, dass die Probleme begännen, sobald der Fisch aus dem Wasser gezogen werde.
„Ob Fischer, Großmarkthändler oder Koch – da haben wir Europäer noch sehr viel von den Japanern zu lernen“.
Lernen war neben Netzwerken das Stichwort dieses Gastrogipfels, der unverkrampft, ohne Konkurrenzdenken, unterhaltend, wissenschaftlich untermauert daherkam. Vielleicht eine Blaupause für Foodevents hierzulande ...
(Gabriele Gugetzer/SAKL)