Touristische Attraktion zeigt soziale Ungleichheit
Seit Ende August ziert eine 7,5 m² große „Postkarte“ mit einem farbenfrohen Aquarellmotiv der Stadt das Gelände der Festung Hohensalzburg – dem meistbesuchten Touristenziel von Salzburg. Eingebettet in die Idylle sind Szenen, die die schwierige Lebensrealität vieler von Armut betroffener Salzburger zeigen.
Auf diese Weise können Reisende in Salzburg künftig einen Blick hinter die Postkarten-Idylle werfen, in der man sich im Urlaub meist bewegt. Und das wortwörtlich ‒ denn in der riesigen Postkarte lassen sich eingebaute Fenster hochklappen. Dahinter sind bebilderte Szenen und Fakten über Armut, Ungleichheit und deren Auswirkungen zu sehen.
„Wir möchten auf diese Weise neue Perspektiven eröffnen und einen Dialog anregen – über Ungleichheit, Urlaub als Privileg und solidarisches Verhalten“, erklärt Initiatorin Edith Frauscher.
Ein Beitrag zur Definition von Qualitätstourismus
Die Festung ist dafür mit 1,3 Millionen Besuchern pro Jahr der ideale Ort. „Natürlich sind wir mit der Festung Hohensalzburg eine hochfrequentierte touristische Attraktion. Gerade deshalb wollen wir die Möglichkeit nutzen, die Gäste zu sensibilisieren“, sagt Geschäftsführer Maximilian Brunner.
Er ergänzt: „Als Gast sollte man sich meiner Meinung nach nicht nur an der schönen Kulisse einer Stadt ergötzen, sondern sich auch für die dort lebenden Menschen interessieren. Ich sehe dieses Projekt auch als Beitrag zur aktuell vieldiskutierten Definition von Qualitätstourismus.“
Realeres Bild für Touristen
Die neue Attraktion ist Teil des Non-Profit-Projekts Beyond the Postcard, das die touristische Landschaft in Salzburg ein Stück weit solidarischer gestalten möchte. Beyond the Postcard wurde von 2021 bis 2023 entwickelt. Dahinter steht das soziale Reisekollektiv benetrip, gegründet von den Einzelunternehmerinnen Edith Frauscher und Maria Kapeller. Beide sind in Kommunikationsberufen tätig und reisen selbst gerne.
„Unsere Motivation ist aus unserer persönlichen Perspektive als Reisende gewachsen. Wir waren beide schon viel unterwegs und sind dabei immer wieder mit Armut und Ungleichheit in Berührung gekommen. Wir finden, dass Urlaub in Zukunft weniger eine konsumorientierte Einbahnstraße und mehr ein ‚Aufeinander achten‘ sein könnte“, sagt Initiatorin Maria Kapeller.
Die beiden Initiatorinnen erhielten eine Innovationsförderung von der FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft). Damit wurde ein Design-Thinking-Prozess finanziert, in dem drei Maßnahmen entwickelt wurden. Dabei haben insgesamt mehr als 80 Salzburger und 60 Touristen mitgewirkt.
Mit einer Förderung der Stadt Salzburg im Frühjahr 2024 konnten die Ideen schließlich realisiert werden. Das Motiv der XXL-Postkarten-Sehenswürdigkeit wurde von den lokalen Künstlerinnen Andrea Lacher-Bryk und Sabrina Hassler konzipiert und gestaltet. Im gesamten Projekt wurde bevorzugt mit lokalen Partnern zusammengearbeitet, etwa im Bereich Illustration, Grafik, Webdesign, Fotografie oder Handwerk.
Spenden für lokale soziale Projekte
Besucher können direkt vor Ort für Salzburger in Not ein kleines „Gastgeschenk“ in Form einer Geldspende hinterlassen. Das Geld kommt während der zweijährigen Projektlaufzeit alle sechs Monate abwechselnd lokalen Sozialvereinen zugute.
In der ersten Phase erhält die Caritas Salzburg die Spenden und unterstützt damit armutsbetroffene Menschen in Bereichen wie Wohnen, Gesundheit, Bildung, Kultur und soziale Kontakte.
„Diese Aktion zeigt, was für viele verborgen bleibt und womit wir bei der Caritas täglich konfrontiert sind: Auch in vermeintlich wohlhabenden Orten wie Salzburg leben Menschen, die von Armut und Ausgrenzung gefährdet sind. Mit diesem Projekt können Touristen einen kurzen Blick hinter die Postkartenidylle werfen und gleichzeitig Gutes tun. Denn wir alle können Gutes tun – egal, wo wir sind“, sagt Johannes Dines, Direktor der Caritas Salzburg.
Soziale Ungleichheit in Salzburg
Die Tourismusstadt Salzburg wirkt zwar auf den ersten Blick für Gäste nicht, als wäre es nötig, hier „zu helfen“ oder „etwas zurückzugeben“. Doch auch in wohlhabenden Regionen existieren Ungleichheiten.
Besonders in einer teuren Stadt wie Salzburg ist es in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden, Wohnen, Heizen oder den täglichen Lebensmitteleinkauf zu bezahlen. Armut hat gravierende Auswirkungen – etwa auf die soziale Teilhabe oder die körperliche und geistige Gesundheit.
Laut Salzburger Armutskonferenz sind aktuell 61.000 Menschen im Bundesland Salzburg armuts- oder ausgrenzungsgefährdet – das sind elf Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig kommen die Millionen Reisenden pro Jahr bisher kaum mit Ungleichheit in Berührung – aber auch sie ist Teil einer viel bereisten Welt.
(Beyond the Postcard/SAKL)