Es geht um Existenzen
Aufgrund der rasant steigenden Infektionszahlen haben sich Bund und Länder für einen erneuten Lockdown entschieden. Von 2. November 2020 bis zum Monatsende sollen Restaurants und Kneipen wieder schließen, genauso wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo- und Fitnessstudios oder Kinos. Veranstaltungen werden gestrichen und Zuschauer in der Bundesliga wieder verboten. Offen bleiben sollen Schulen, Kindergärten, der Groß- und Einzelhandel und Friseurläden. Die Politik versucht sich geschlossen zu geben, dennoch werden Stimmen laut, die die beschlossenen Maßnahmen für unverhältnismäßig und nicht zielführend halten.
Steffen Henssler: „Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist Politische Hilflosigkeit“
Bereits im Vorfeld hatten Gastronomen und Veranstalter versucht, durch Brandbriefe und Demonstrationen auf ihre Situation aufmerksam zu machen und dabei auch auf Zahlen des RKI verwiesen: „Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Bei den heutigen Beschlüssen zur Schließung von Restaurants kann von zielführend, verhältnismäßig oder nachvollziehbar absolut keine Rede sein. Unsere Branche wird erneut in einen Lockdown geschickt, obwohl unsere Restaurants keine Infektionstreiber sind und unter strengsten, behördlich genehmigten Hygienekonzepten arbeiten“, so BdS-Hauptgeschäftsführerin Andrea Belegante und erhält dabei Zustimmung von Betroffenen Gastronomen. TV-Koch Steffen Henssler schrieb etwa auf Facebook: „Die einzige Antwort unserer politischen Führungsriege auf die steigenden Infektionszahlen ist ein Lockdown, bei dem unter anderem als erste Maßnahme Restaurants und Kneipen wieder geschlossen werden. Also die Branche, die umfassende Hygienekonzepte entwickelt hat. (…) Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist ‚Politische Hilflosigkeit‘. Ich frage mich, was es bringen soll, eine Branche dicht zu machen, die ja nachweislich kein Infektionstreiber ist.“
Christian Lindner: „Es ist nicht fair!“
Diese Meinung teilt auch Christian Lindner (FDP). In einem Facebook-Post solidarisierte er sich mit der Branche: „Es ist nicht fair, dass viele Restaurants und Betriebe, die in Hygienekonzepte investiert haben, jetzt wieder schließen müssen. Und das ob wohl der Gesundheitsschutz gewährleistet ist und sie keine Corona-Hotspots sind!“ Auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ging mit den jüngsten Maßnahmen hart ins Gericht. Die Einschränkungen zeigten, dass die Regierungschefs aus dem bisherigen Verlauf der Krise nichts gelernt hätten. Die Maßnahmen verweigerten die Erkenntnisse, wo und bei welchen Anlässen große Infektionen zu verzeichnen seien.
Mario Ohoven: „Die Bundeskanzlerin konnte keine Begründung liefern“
Mittelstandpräsident Mario Ohoven will daher die Lockdown-Beschlüsse auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen: „Die Bundeskanzlerin konnte in ihrer Regierungserklärung keine für den Mittelstand zufriedenstellende Begründung für den von ihr und den Ministerpräsidenten der Länder verfügten zweiten Lockdown liefern. Als Folge dieser – am Deutschen Bundestag vorbei – beschlossenen Maßnahmen droht tausenden Mittelständlern das wirtschaftliche Aus“, erklärt er. „Es besteht kein Zweifel daran, dass der Staat zur Eindämmung der Pandemie alles tun muss, was geeignet, erforderlich und angemessen ist, um die Bürger zu schützen. Bei den getroffenen Maßnahmen geht es aber um nicht weniger als die wirtschaftliche Existenz von ganzen Berufsgruppen, Millionen von Selbstständigen und deren Familien. Daher ist es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, die Frage zu stellen, ob die Maßnahmen auch im Rechtssinne verhältnismäßig sind und damit im Einklang mit unserer Verfassung stehen. Wir werden als Verband im Interesse des Mittelstands eine solche Überprüfung veranlassen. Am Ende könnte die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stehen.“
Armin Laschet: „Hygienekonzepte sind nicht entscheidend“
Doch im Großen und Ganzen finden entsprechende Argumente kein Gehör. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) beispielsweise verteidigte die massiven Beschränkungen: „Wir wissen bei 75 Prozent der Infektionen nicht, wo sie herkommen“, sagte er am Mittwoch in Düsseldorf. Deshalb könne man mit den Maßnahmen nicht nur bei einigen wenigen Bereichen ansetzen, sondern müsse dafür sorgen, dass die gesamte Gesellschaft ihre Kontakte reduziere. „Da ist es auch nicht entscheidend, ob jemand ein Hygienekonzept hat oder nicht, ob er Abstand halten kann wie in einem Fußballstadion oder in einem Opernhaus oder in einem Restaurant, das sich an alle Regeln hält.“ Auf die Zahlen des RKI, die eine größere Ansteckungsgefahr im Privaten als etwa in Restaurants vermuten lassen, geht er jedoch nicht ein. Lediglich Hamburgs Bürgermeister Tschentscher warnt: „Wer in einem Keller hinter verschlossenen Türen eine Party mit fast 100 Leuten veranstaltet – ohne Maske, ohne Abstand -, der unterläuft die gesamte Corona-Strategie und bringt uns in größte Schwierigkeiten.“ Da die Unantastbarkeit der Wohnung jedoch Kontrollen im privaten Rahmen erschwert, forderte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sogar diese Regelung aufzuweichen: „Wir befinden uns in einer nationalen Notlage, die schlimmer als im Frühjahr werden kann. Die Unverletzbarkeit der Wohnung darf kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein“, erklärte er der Rheinischen Post. „Wenn private Feiern in Wohnungen und Häusern die öffentliche Gesundheit und damit die Sicherheit gefährden, müssen die Behörden einschreiten können.“
Marco Graf: „Für manche wird sich die Existenzfrage stellen“
Nach Ablauf von zwei Wochen wollen Kanzlerin und Länderchefs die erreichten Ziele beurteilen und notwendige Anpassungen vornehmen. IHK-Hauptgeschäftsführer in Osnabrück, Marco Graf, gibt jedoch zu bedenken, dass viele Betriebe der Gastronomie und der Dienstleistungswirtschaft sich bisher kaum von den Folgen des ersten Lockdown erholt hätten und nun erneut schwere Einbußen erleiden. „Für manche Unternehmen wird sich daher in den kommenden Wochen mehr denn je die Existenzfrage stellen“, erklärt er.
Auch viele Händler fürchten drastische Umsatzeinbußen in den kommenden Wochen vor Weihnachten. „Jegliche Einschränkungen, auch Flächenbegrenzungen in diesem für die Händler extrem wichtigen Vorweihnachtsgeschäft, wird für Tausende Betriebe – auch für gesunde mittelständische – das Aus bedeuten“, sagte der Präsident des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW), Hermann Hutter. Das kommende Weihnachtsgeschäft sei für die meisten Händler traditionell das umsatzstärkste im Jahr.
Guido Wolf: „Ohne die Ausfallprämie droht tausenden betrieben das Ende“
BdS-Hauptgeschäftsführerin Andrea Belegante warnt daher eindrücklich: „Nun muss die Politik endlich wirksame und langfristige finanzielle Hilfe leisten und die allgemeine Mehrwertsteuerreduzierung über den 31. Dezember 2020 sowie gleichzeitig die Mehrwertsteuerreduzierung inklusive Getränke für die Gastronomie über den 30. Juni 2021 hinaus verlängern. Es stehen hier unternehmerische Existenzen, Arbeitsplätze und die gastronomische Vielfalt akut auf dem Spiel.“ Auch Tourismusminister Guido Wolf (CDU) forderte eine schnelle Umsetzung der geplanten finanziellen Hilfen für betroffene Betriebe: „Ohne die angekündigte Ausfallprämie von bis zu 75 Prozent der November-Umsätze 2019 droht tausenden Betrieben unverschuldet das Ende.“ Die Hilfen müssten schnell und unbürokratisch fließen.
(Dpa/Facebook/NZ)