Drei Wochen Lockdown, dann Massentests
Österreich muss für drei Wochen in den zweiten Corona-Lockdown. Damit möchte die österreichische Regierung die trotz Einschränkungen weiterhin hohen Ansteckungszahlen eindämmen. Ab Dienstag, 17. November 2020, schließen daher die meisten Geschäfte, Schulen stellen auf Fernunterricht um. Das Verlassen von Haus oder Wohnung ist wie bereits zu Beginn der Pandemie im Frühjahr nur aus bestimmten Gründen erlaubt, darunter Grundbedürfnisse, Arbeit und ausdrücklich auch Erholung im Freien – aber höchstens mit einzelnen „engsten“ Freunden oder Verwandten. „Meine eindringliche Bitte für die nächsten Wochen ist: Treffen Sie niemanden! Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der Ankündigung am Samstag.
Anschließend sollen Massentests „in gewissen Gruppen, zum Beispiel bei Lehrerinnen und Lehrern“ nach Vorbild der millionenfachen Tests in der Slowakei unerkannten Infektionen auf die Spur kommen, kündigte Kurz zusätzlich am Sonntag in einem ORF-Fernsehinterview an. Damit wolle man ein möglichst sicheres Weihnachten ermöglichen. „Auch wenn sich niemand einen zweiten Lockdown wünscht, so ist der zweite Lockdown das einzige Mittel, von dem wir verlässlich wissen, dass es funktioniert“, so der Kanzler. „Je mehr Menschen sich daranhalten, was hier vorgegeben wird, desto kürzer wird dieser Zustand anhalten.“
Die Maßnahmen gelten ab Dienstag und sollen am Nikolaustag am 6. Dezember enden. Offen bleiben Geschäfte des täglichen Bedarfs, etwa Supermärkte, Drogerien, Apotheken und Banken. Schulen und Kindergärten bieten Betreuung an. Arbeitnehmer sollen, wenn möglich, im Homeoffice arbeiten.
„Komplettversagen und Kontrollverlust in der Pandemie“
Die Ausgangsbeschränkungen müssen alle zehn Tage vom Hauptausschuss des Parlaments neu genehmigt werden – eine nach dem ersten Lockdown im Frühjahr eingeführte rechtliche Regelung. Damals hatte die Regierung inmitten der eskalierenden Situation mit der noch neuen Pandemie Schulen und Handel, Kultur und sogar Parks geschlossen.
Die Opposition von Sozialdemokraten bis Rechtspopulisten warf der konservativ-grünen Regierung Komplettversagen und Kontrollverlust in der Pandemie vor. Die Regierung habe die Kontaktnachverfolgung vernachlässigt und die Länder und Krankenhäuser bei der Vorbereitung der Intensivstationen alleingelassen. Vor einem Monat hatte etwa Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) einen Lockdown noch öffentlich ausgeschlossen. „Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen“, sagte er am 11. Oktober dem Sender ORF. Das sei nur vor einem flächendeckenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems möglich. „Davon sind wir Gott sei Dank meilenweit entfernt“, sagte Anschober damals.
Keine zwei Wochen später schossen die Infektionszahlen in die Höhe – von knapp 1000 positiven Tests am Tag Mitte Oktober auf mehr als 8000 Mitte November. Am 3. November schloss Österreich Tourismus und Gastronomie, Kulturbetriebe und Freizeiteinrichtungen. Ausgangsbeschränkungen von 20 bis 6 Uhr sollten als faktisches Besuchsverbot wirken, um Ansteckungen bei Privattreffen vorzubeugen.
Die Infektionszahlen stiegen in der ersten Novemberhälfte aber zunächst weiter. Behörden können laut Kurz mittlerweile 77 Prozent der Neuansteckungen nicht zurückverfolgen. Am Freitag lag die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen bei 554,2, in einzelnen Regionen sogar bei bis zu 850. Die tägliche Ansteckungszahlen ließen erst am Wochenende im Vergleich zur Vorwoche eine leichte Entspannung erahnen.
„Reproduktionszahl muss unter 0,9 betragen“
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte, aktuell stecke jeder Corona-Infizierte statistisch 1,2 andere Menschen an. Diese Reproduktionszahl müsse unter 0,9 sinken – dann würden 10 Erkrankte rechnerisch höchstens 9 Menschen anstecken. Das Gesundheitssystem komme in vielen Bereichen an seine Grenzen. „Wir brauchen deshalb eine Notbremsung und das wirklich sofort“, sagte Anschober.
Dass die Krankenhäuserin den Abgrund blicken, verdeutlichte am Samstag eine Warnung des obersten Intensivmediziners des Landes. „Wenn das Ganze in den nächsten Tagen in dieser Geschwindigkeit zunehmen sollte, kommen wir in die Situation einer Triage“, sagte der Präsident der Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin, Klaus Markstaller. Ärzte müssten dann auswählen, welche Patienten intensivmedizinisch behandelt werden können.
(dpa/NZ)