European Accessibility Act: Was Hotels jetzt beachten müssen
Am 28. Juni 2025 tritt der European Accessibility Act (EAA) in Kraft. Das Gesetz zielt u. a. darauf ab, Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen einen gleichberechtigten Zugang in der Hotellerie zu ermöglichen. Damit stellt es Hoteliers vor die Herausforderung, ihre Produkte und Dienstleistungen – insbesondere Webseiten, Buchungsplattformen und mobile Anwendungen – sowie auch physische Einrichtungen und Kundenservices barrierefrei zu gestalten.
Anstatt den EAA jedoch als eine bürokratische Hürde zu sehen, sollten Hoteliers Barrierefreiheit als strategischen Wettbewerbsvorteil betrachten: Wie können Hoteliers diese Anforderung nutzen, um neue Kundengruppen zu erschließen und sich somit im Markt differenzieren? Diese und weitere Fragen beantworten Robert Ventura Simon, Technical Product Manager bei Guestline, und Dr. Juliana Kliesch, Counsel bei Bird & Bird, im Interview mit HOGAPAGE.
Frau Kliesch, was regelt der European Accessibility Act (EAA) genau?
Juliana Kliesch: Der EAA ist eine EU-Richtlinie, die darauf abzielt, die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt zu harmonisieren. Ziel ist es, Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen den gleichberechtigten Zugang zu alltäglichen Technologien und Dienstleistungen zu ermöglichen. Außerdem soll der Handel barrierefreier Produkte und Dienstleistungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten durch Angleichung der Anforderungen für Barrierefreiheit erleichtert werden.
In Deutschland erfolgt die Umsetzung durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Dieses verpflichtet Wirtschaftsakteure wie Hersteller und Dienstleister dazu, digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten, sofern sie in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Das Gesetz enthält teilweise Übergangsfristen, wobei unter anderem E-Commerce-Webseiten und Apps, die sich an Verbraucher richten, ab dem 29. Juni 2025 barrierefrei sein müssen.
Und welche Auswirkungen hat der EAA auf die Hotellerie?
Juliana Kliesch: Für die Hotellerie bedeutet der EAA unter anderem eine rechtliche Verpflichtung zur Online-Barrierefreiheit. Betroffen sind alle Teile einer Webseite, die einen Zusammenhang zu einem Verbrauchervertrag und dessen Abschluss aufweisen. Hierzu zählen beispielsweise Buchungsformulare, Log-In- und Sicherheitsfunktionen, Zahlungs- und Stornierungsfunktionen sowie die Startseite. Zudem müssen alle Stationen, die Gäste durchlaufen barrierefrei sein: vom Aufrufen der Webseite bis zur Buchung. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte die gesamte Webseite barrierefrei gestalten. Das gilt auch für Apps. Die hierfür relevanten Anforderungen finden sich in den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Die WCAG-Kriterien der Stufen A und AA sind dabei verpflichtend.
Herr Ventura Simon, was genau bedeutet Barrierefreiheit denn konkret im digitalen Kontext?
Robert Ventura Simon: Hoteliers müssen ihre Webseiten, Buchungssysteme und Apps so gestalten, dass sie für Menschen mit visuellen, auditiven, kognitiven oder motorischen Einschränkungen zugänglich sind. Dazu gehören etwa Kompatibilität mit Screenreadern, Tastaturnavigation, ausreichende Farbkontraste und gut lesbare Schriftgrößen. Auch Buchungsprozesse müssen ohne Maus bedienbar sein und mobile Apps den gängigen Barrierefreiheitsstandards entsprechen.
Und inwiefern müssen physische Einrichtungen und Kundenservices barrierefrei gestaltet werden?
Robert Ventura Simon: Der EAA ergänzt die bestehenden Vorgaben zur physischen Barrierefreiheit – zu denen etwa stufenlose Zugänge, barrierefreie Zimmer und Sanitäranlagen sowie eine gut lesbare Beschilderung zählen – um digitale Barrierefreiheitsanforderungen. Barrierefreiheit – ganz gleich, ob physisch oder digital – ist keine Pflichtaufgabe, sondern ein zentraler Aspekt eines inklusiven und zukunftsfähigen Gästeservices.
Juliana Kliesch: Zudem müssen Hoteliers eine leicht auffindbare Barrierefreiheitserklärung auf ihrer Webseite bereitstellen, die unter anderem Informationen zur Barrierefreiheit der Webseite und der dort angebotenen Produkte und Dienstleistungen enthält. Entsprechendes gilt wieder für Apps. Bei Self-Service-Terminals wie Check-In-Kiosken lässt sich nicht pauschal beantworten, ob sie unter das Gesetz fallen – entscheidend sind die Funktionen des Geräts. Wenn die Hauptfunktionalität eines Kiosks darin besteht, die Hotelkosten zu begleichen, kann dies ein Indikator dafür sein, dass der Kiosk unter diese Regelung fällt. Im Detail bleibt eine Konkretisierung der relevanten Regelungen durch Behörden und Gerichte abzuwarten.
Wie können Hotels denn sicherstellen, dass sie den Vorgaben des EAA gerecht werden?
Robert Ventura Simon: Hoteliers sollten ein umfassendes Barrierefreiheits-Audit durchführen– idealerweise mit Unterstützung von Experten, die nach anerkannten Standards wie WCAG testen. Dabei gilt es zu prüfen, ob Webseiten, Buchungssystem und Apps barrierefrei nutzbar sind, ob die Navigation ohne Maus funktioniert, und ob die physischen Gegebenheiten wie Zimmer, Eingänge oder Beschilderung den Anforderungen entsprechen. Auf Basis der Ergebnisse werden konkrete Maßnahmen priorisiert: digitale Oberflächen optimieren, Alternativtexte ergänzen, Navigation vereinfachen, barrierefreie Informationen bereitstellen und Mitarbeiter schulen. Wichtig ist, Menschen mit Behinderungen aktiv in Testprozesse einzubeziehen. Alle Schritte und Verbesserungen sollten dokumentiert werden – das schafft Nachweise für Kontrollen und zeigt aktives Engagement.
Welchen Investitionsaufwand sollten Hoteliers dabei für die Umsetzung der Vorgaben einplanen?
Robert Ventura Simon: Die Kosten hängen von Größe und technischer Ausgangslage ab. Kleine Hotels können mit 5.000 bis 15.000 Euro für digitale Anpassungen und Schulungen rechnen, größere Häuser müssen mehr einplanen. Doch auch mit kleinem Budget lassen sich wichtige Fortschritte erzielen, etwa durch die Optimierung des Buchungsprozesses oder gezielte Schulungen des Servicepersonals. Diese Maßnahmen sind kostengünstig, aber sehr wirkungsvoll.
Wie und wann wird überprüft, ob die Vorgaben der EAA in den Hotelbetrieben eingehalten werden?
Juliana Kliesch: Digitale Angebote wie Webseiten und Apps müssen ohne Übergangsfrist ab dem 29. Juni 2025 den gesetzlichen Anforderungen genügen. Erfasste Selbstbedienungsterminals, die vor dem 28. Juni 2025 rechtmäßig zur Erbringung von Dienstleistungen eingesetzt werden, dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer und höchstens 15 Jahre weiter eingesetzt werden. Eine Prüfung durch die Marktüberwachungsbehörde kann stichprobenartig oder etwa auf Veranlassung eines Verbrauchers erfolgen.
Und welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Nichteinhaltung der Vorgaben?
Juliana Kliesch: Die Nichteinhaltung der EAA-Vorgaben kann rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Werden Mängel bei der Barrierefreiheit trotz Aufforderung nicht abgestellt, kann die Marktüberwachungsbehörde die „Abschaltung“ der Webseite veranlassen. Daneben drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro. Auch Abmahnungen und Unterlassungsklagen durch Mitbewerber oder Verbraucherverbände erscheinen möglich. Darüber hinaus kann die öffentliche Wahrnehmung negativ beeinflusst werden, wenn betroffene Gäste negative Erfahrungen in sozialen Netzwerken oder Bewertungsportalen berichten. Das kann dem Ruf des Hotels schaden und zu einem Rückgang der Buchungen führen. Reputationsschäden sind häufig sogar nachhaltiger und wirtschaftlich gravierender als eine Geldbuße.
Bietet der EAA den Hotelbetrieben denn auch Chancen?
Robert Ventura Simon: Der EAA ist weit mehr als eine gesetzliche Vorgabe – er bietet Hotels die Chance, sich in einem stark umkämpften Markt durch gelebte Inklusion positiv abzuheben. Barrierefreiheit verbessert die Nutzererfahrung für alle: Klar strukturierte Buchungsprozesse, intuitive Navigation und mobil optimierte Inhalte kommen nicht nur Menschen mit Behinderungen zugute, sondern erhöhen den Komfort für sämtliche Gäste.
Gleichzeitig erweitert sich die Zielgruppe – denn barrierefreie Angebote sprechen auch ältere Reisende, Familien mit Kinderwägen oder Menschen mit temporären Einschränkungen an. Auch in puncto Sichtbarkeit gewinnt das Thema an Bedeutung: Barrierefreiheit wird zum Standard. Zudem stärken Hotels, die proaktiv barrierefrei agieren, ihre Marke – sie zeigen Verantwortung, Modernität und Offenheit, was gerade bei einem diverser werdenden Gästekreis und Geschäftspartnern zunehmend geschätzt wird.
Wer Barrierefreiheit nicht als Pflicht, sondern als Teil eines hochwertigen Gästeerlebnisses begreift, positioniert sich zukunftsfähig – und macht das Reisen für alle angenehmer!
Vielen Dank für das Gespräch Frau Kliesch und Herr Ventura Simon!
Über Dr. Juliana Kliesch
Dr. Juliana Kliesch ist Counsel im Hamburger Büro von Bird & Bird und Mitglied des Commercial-Teams sowie der Sektorgruppe Technologie und Kommunikation. Sie berät Mandanten zu Datenschutz- und IT-Recht mit einem Fokus auf Online-Datenschutz, IT-Verträge und regulatorische Fragen. Zuvor war sie für die Bundesregierung in der EU-Handelspolitik tätig.
Über Robert Ventura Simon
Robert Ventura Simon ist Technical Product Manager bei Guestline und verantwortlich für die gastorientierten Produkte des Unternehmens. Als Informatiker mit über 13 Jahren Erfahrung in der Hotelbranche begann er als Softwareentwickler, bevor er ins Produktmanagement wechselte. Seine Expertise an der Schnittstelle zwischen Technologie und Gastgewerbe bringt er in wichtige Initiativen ein. Darunter das jüngste Projekt zur Unterstützung von Hotels bei der Vorbereitung auf die bevorstehenden EAA-Anforderungen zur Barrierefreiheit.
(SAKL)