Ein Stimmungsbild im zweiten Corona-Sommer
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Quo vadis, Veranstaltungsbranche?

Ein Stimmungsbild im zweiten Corona-Sommer

von Sebastian Bütow
Donnerstag, 06.05.2021
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Die symbolträchtigen Demo-Särge, die Events und somit von ihnen abhängige Sub-Branchen schon vor einem Dreivierteljahr für tot erklärten, gehören in Metropolen beinahe schon zum Stadtbild. Zum einjährigen Event-Lockdown bezeichnete das Protest-Bündnis #AlarmstufeRot die Veranstaltungsbranche als »vergessen und abserviert«. Wer von ihr abhängig ist, habe »keine wirksame politische Interessenvertretung«.  Die Veranstaltungsbranche ist dabei in Deutschland der sechstgrößte Wirtschaftszweig. Hier sind etwa 1,5 Millionen Mitarbeiter beschäftigt, im Jahr 2019 wurden knapp 130 Milliarden Euro direkt umgesetzt. Wie schlecht ist es aktuell um die Branche bestellt? Viele sind längst pleite, einige kämpfen ums wirtschaftliche Überleben, warten auf überfällige Zahlungen vom Staat.

Es gibt aber auch Branchenvertreter, die sich vor dem Einhämmern eines Sargnagels nicht fürchten müssen. Zu diesen zählt auch Alexander Wolfrum, Gründer und Geschäftsführer der Münchner Eventagentur G.R.A.L. Seine Kundenliste schmücken zahlreiche Top-Auftraggeber, von Allianz Real Estate bis ZDF. Für ein Burda-Event zauberte er Lady Gaga auf die Bühne. »Seit Jahren veranstalten wir für einen Streamingdienstanbieter die Premieren, wenn die neuen Angebote vorgestellt werden. Das war früher ein schönes Event. Teilweise mit 2.000 Personen, in einem Kino in Berlin mit anschließender Feier«, erzählt Wolfrum. »Solche Events finden heute in einem Hotel statt – in getrennten Räumen. Mit einem hohen technischen Aufwand und andauernden Coronatests.«

»Für Caterer ist es wirklich unlustig«

Das Catering sei »wenig und abgepackt«. Die Gesichter der Servicekräfte sind wie alle Menschen hinter dicken Masken versteckt, sodass alle Gesten beim freundlichen Service nicht zu erkennen sind. Aber die Leute bekommen weiterhin Speisen und Getränke von uns«, so Wolfrum. Immerhin. »Für die Caterer ist es zurzeit wirklich unlustig«, sagt Wolfrum. »Manche behelfen sich mit irgendwelchen kleineren Veranstaltungen, versorgen zum Beispiel Altenheime.« Früher gab es einen tollen Kongress der Bayerischen Wohnungswirtschaft in Reit im Winkl, heute sei dieses Event nur noch »ein Verbandstreffen mit 50 Personen, großen Abständen und hybrid eingeblendeten Ministern«. All das, wo Menschen sich näherkommen – emotional, menschlich, geschäftlich – findet zurzeit weniger statt.

»Finanziell geht es uns nicht schlecht«, sagt Alexander Wolfrum. »Aber wir vermissen, dass Menschen sich um zwei Uhr morgens bei einem schönen Lied in die Arme fallen.« Im vergangenen Jahr habe sein Unternehmen viele Honorarzahlungen für Absagen und Verschiebungen bekommen. »Und in diesem Jahr haben wir viele Veranstaltungen realisiert, unter sehr strikten Auflagen.«

»Wir müssen irgendwas machen« – trotz Pandemie

Seine Eventagentur habe eine besondere Stellung, sei bekannt dafür, Genehmigungen zu bekommen für herausfordernde Veranstaltungen, zum Beispiel Events auf dem Königsplatz in München, im Justizpalast oder sogar im Tunnel des Mittleren Rings. »Das Sonder-Wissen für schwierige Genehmigungen habe ich mir in 16 Semestern Jura angeeignet, und dieses wird stark gefragt – jetzt sogar stärker als früher.«

»Es kommen Auftraggeber zu uns, die sagen: Wir müssen da irgendwas machen. Dann schreiben wir Hygienekonzepte, klären das mit den Behörden und sorgen dafür, dass rechtlich alles okay geht. Dann führen wir das mit einigen Kollegen, die wir zu zertifizierten Infektionsschutzbeauftragten im Veranstaltungswesen ausbilden lassen haben, durch.«

»Hybrid-Event« ist Ding der Stunde

Der Anteil der Arbeit, die direkt in der Agentur anfällt, wächst. Auch Geschäftsführer Enea Ciaburri berichtet, dass seine Agentur Penta gut durch die Pandemie komme: »Wir fokussieren uns auf Hybrid- und Streaming-Events.« Heißt: »Nur ein kleiner Kreis ist in einem Studio präsent, die restlichen Teilnehmer werden zugeschaltet.« Hybrid, das ist zweifelsohne der Begriff der Stunde in der Veranstaltungsbranche. Ob Messe, Konferenz, Seminar, Workshop oder ein ganz normales Meeting, die Live-Veranstaltung wird kombiniert mit virtuellen Online-Komponenten.

Dass seine Firma weiter auf der Erfolgsspur fährt, habe auch »mit dem Faktor Glück« und der engen Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern und Kunden zu tun. »Wir hatten schon vor Corona Streaming-Event-Erfahrung, zum Beispiel mit Veranstaltungen für BMW, sodass wir die Kompetenzen schon hatten, als die Krise kam«, erklärt Ciaburri. »Es gibt aber kaum jemanden, der momentan keine Einbußen zu verzeichnen hat. Künstler, Techniker und Caterer haben es schwer. Mir geht es verhältnismäßig gut, weil ich ein anderes Produkt anbiete. Würde ich klassische Events anbieten, dann hätte ich enorme Einbußen!«

Etliche warten auf Geld vom Staat

Ciaburri tut es weh, mitansehen zu müssen, wie Firmen und Menschen zu wenig Unterstützung vom Staat bekommen: »Es ist unerträglich, wie Wirtschaftsministerien und Steuerbehörden Unternehmer im Stich lassen, manche immer noch auf Gelder warten müssen. Was hier passiert, ist eine Katastrophe. Wenn eine Regierung nicht in der Lage ist, Gelder auszuzahlen, hat das nichts mit einem pandemischen Zustand zu tun, sondern mit einem strukturellen Problem. Die Leute warten dringend auf Gelder, hier gehen Firmen pleite! Die Politiker sollten nicht immer auf die Unternehmen schimpfen, sondern gemeinsam mit Unternehmen Lösungen erarbeiten. Die Eventbranche ist dazu bereit!«

Die wahren Leidtragenden aus der Veranstaltungsbranche sind diejenigen, die den gecancelten und geschrumpften Events zum Opfer fallen, also Techniker, Dekorateure, Securitys … »Wenn ich die Münchner Olympiahalle für ein Konzert der Fantastischen Vier ausstatte, dann beträgt der Umsatz für die Technikfirma das Zehnfache. Die Technikfirmen leiden unheimlich, die Personaldienstleister auch. Ich brauche keine Hostessen mehr am Eingang, vor allem keine 23 mehr. Ich brauche nur noch eine, und die misst Fieber«, erläutert Alexander Wolfrum.

Strandkorb Open Air
Event-Konzept mit Corona-konformem Hygienesystem – das
Strandkorb-Open-Air will wieder Konzerte vor Publikum möglich
machen. Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto/Revierfot

»Strandkorb-Open-Air« beweist: Es geht doch!

Hoffnung macht das Projekt »Strandkorb-Open-Air-Tour 2021«. Dessen Organisatoren planen quer durch Deutschland Live-Gigs mit Corona-Schutzmaßnahmen, die Reihe wurde bereits 2020 erfolgreich durchgeführt und mit dem Deutschen Tourismuspreis 2020 ausgezeichnet. Das Konzept sieht zahlreiche Maßnahmen vor, um zu enge Kontakte zwischen Zuschauern und Event-Mitarbeitenden zu vermeiden: kontaktloser Einlass, Desinfektionsmittel am Platz, bargeldloses Gastro-System. Per Smartphone bestellen die Besucher Snacks und Getränke, nehmen sie direkt an ihrem Strandkorb in Empfang.

»Es gäbe derzeit durchaus Möglichkeiten, Events umzusetzen. Sie sind nicht zwangsläufig Pandemietreiber«, sagt Ciaburri. »Es gab auch dieses Testprojekt in Berliner Theatern und Opernhäusern, die das Publikum vorher testeten und auf Abstände achteten. Man kann nicht immer nur Grenzen setzen. Irgendwann muss der Fokus mal wieder auf die Wirtschaft gerichtet werden!« Ciaburri wünscht sich mehr Politiker vom Format eines Helmut Schmidt, der bei der Flut in Hamburg 1962 mutig Gesetze ignorierte und pragmatisch-schnell zielführende Entscheidungen traf.

Vorfreude auf Renaissance des klassischen Events

Ciaburri freut sich schon auf die Renaissance des klassischen Events, weil die Leute danach lechzen, wenn Corona hoffentlich irgendwann Geschichte ist. Er ist sich sicher, dass vieles bleiben wird: »Diese regelmäßigen Vertriebsleitertreffen, mal in München, dann in Berlin, Hamburg, Düsseldorf – die wird es so nicht mehr geben, Streaming wird die Reisen ersetzen. Das spart Geld, die Effizienz ist besser. Für den reinen Informationstransfer ist das Streamingformat fantastisch.« Es wird bleiben, auch nach der Pandemie. Für viele andere Anlässe sind Streamingformate völlig ungeeignet. »Die persönliche Begegnung ist nach wie vor durch nichts zu ersetzen. Man heiratet auch nicht, wenn man sich nur aus dem Internet kennt«, schmunzelt Ciaburri.

Christian Betz, Inhaber von PEC Party-Event-Catering »Fingerfood & Catering« in München, fährt seinen Laden zurzeit runter. »Die Behörden legten mir nahe, stillzulegen. Sie rieten mir ab, komplett aufzulösen«, erzählt er. »Ich hatte zuletzt nur eine relevante Anfrage für die ›BAU 2022‹-Messe, ansonsten bleiben jegliche Anfragen und Aufträge aus.« Die verschiedensten Kühlgeräte und andere Großküchen-Gerätschaften sind mittlerweile »off«.

Enea Ciaburri
Enea Ciaburri setzt mit
seiner Agentur Penta
derzeit auf hybride Events –
eine Zwischenlösung ...
Foto: Agentur Penta

Informationen? Nur aus den Medien

Jahrelang belieferte er große Veranstaltungen, Klein- und Großunternehmen sowie staatliche und öffentliche Einrichtungen. »Ich habe keine Ahnung, wann wir wieder loslegen dürfen und in welchem Umfang. Es gibt von niemandem konkrete Aussagen, weder von DEHOGA oder IHK, Infos bekommen wir nur aus den Medien, und dies sehr lückenhaft«, so Christian Betz.

Von der Politik fühlt er sich »zu 100 Prozent« im Stich gelassen. »Statt der sogenannten Soforthilfen – warum haben uns die Behörden nicht einfach die von uns Unternehmern gezahlte Umsatzvorsteuer aus dem Jahr 2018/2019 zurückerstattet, nach dem Motto: Arbeitet mit eurem eigenen Geld?« Die Stimme des Caterers klingt immer wütender. »Seit Jahren zahlen wir ein, in alle möglichen Systeme. Die Behörden drangsalieren einen schnell, wenn man nicht pünktlich bezahlt, aber jetzt lässt sich der Staat Zeit, etliche Unternehmer warten seit Monaten auf Unterstützung.«

»Haben Sie Vertrauen!

Die Bundes- und Landesregierungen tun alles dafür, dass die Corona-Krise zu keiner Existenzkrise für Unternehmen, Arbeitnehmer und Selbstständige wird.« (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft im März 2020)

Sein Geschäftsmodell umzuswitchen, sprich: z.B. Familien mit Essen/Catering zu beliefern statt Events, mache keinen Sinn. »Die Kosten, alleine für die Herstellung und den Transport, übersteigen dann den Einzel-Auftragsumsatz, außerdem waren das Geschäftsmodell und die Cateringküche mit Geschirr- und Equipmentlager nie auf das Klein-Catering mit fünf Gästen ausgerichtet. Das Geschäftsmodell war für 15 Personen aufwärts ausgelegt.«

Unrentables Geschäft

Einige seiner Kollegen haben ihr Cateringgeschäft schon ganz aufgeben müssen. »Viele haben sich aus der Not heraus festanstellen lassen, zum Beispiel in Kindergärten oder in anderen Branchen mit einer Bezahlung unter ihrer Qualifikationsstufe«, so Betz. Momentan besteht sein Alltag aus »Schaden abwenden, mit Partnern verhandeln, um idealerweise Lösungs- und Schlichtungswege zu finden, weil es noch eine Menge Bestands- und Verpflichtungsverträge gibt«. Nach dem vorübergehenden Aus muss er sehen, wie sich ein Fortlauf seines Geschäfts gestalten könnte. »Ich kann nicht eine größere Gewerbefläche am Laufen halten, wenn keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen und keine Aufträge generiert werden können.

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