Sportsbars
Fotos: Joe Champs/Lilville; iStockphoto

Noch ein Tor, noch ein Bier!

Das Konzept Sportsbar

von Daniela Müller
Mittwoch, 30.11.2016
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In der 34. Spielminute scheppert’s mal so richtig im Trommelfell: FC-Bayern-Star Costa passt in Richtung Lewandowski, der Stürmer kommt aber nicht an den Ball, weil Hoffenheims Verteidiger Zuber in den Pass reinrutscht – und so den Ball durch die Beine seines Torhüters ins eigene Tor grätscht.

Toooor! Der Ausgleich, 1:1! Die Fans in den roten Bayern-Trikots bejubeln das Slapstick-Eigentor des Außenseiters. Hier, vor der Beamer Leinwand, die das Bayern-Spiel zeigt, ist die Stimmung nicht minder leidenschaftlich als in der Münchner Allianz Arena. Fast alle Besucher tragen das Trikot ihres Klubs und jubeln nicht weniger euphorisch als ihre Fan-Kollegen im Stadion.

Tapeziert mit Fußball-Devotionalien

Wir befinden uns in der renommierten Münchner Fußballkneipe »Stadion an der Schleißheimer Straße«, den Begriff »Sportsbar« finden die Betreiber Holger Britzius und Michael Jachan nicht so passend für ihre Location, dafür sei man »zu old school, zu familiär und zu unamerikanisch«. Vielmehr sei man ein »Wohnzimmer der Fußballszene«. In der Tat ist es hier gemütlich, es wimmelt nur so von originalen, museumsartigen Kicker-Devotionalien, die die Herzen von Fußball-Nostalgikern höherschlagen lassen.

Die auch bei Auswärts-Fans populäre Location ist geradezu tapeziert mit Trikots, Schals, Wimpeln, Autogrammkarten und kultigen Souvenirs, sogar die Original-Eckfahne eines EM-Qualifikationsspiels schmückt das 80 Quadratmeter große Lokal. Die beiden Macher kennen viele ihrer Besucher beim Namen. »70 bis 80 Prozent unserer Gäste reservieren vorher, an gut besuchten Tagen führen wir sie persönlich zu ihren Plätzen. Alles in allem geht es bei uns sehr persönlich zu«, so Holger Britzius.

Man braucht nur kaltes Bier, Sport-TV und schöne Mädchen

 

 

Marketing-chefin
US-Sportsbar-Kette »Twin Peaks«

Das Gemeinschaftserlebnis unter Gleichgesinnten hat sich etabliert

Die Idee für das »Stadion«, wie die Location meist nur genannt wird, entstand buchstäblich aus einer Bierlaune, unmittelbar nach dem WM-Sommermärchen 2006, als Public Viewing, dem kollektiven Fußballgenuss außerhalb der Stadien, der Durchbruch ­gelang. Aus den Fußballfeten im sommerlichen Zwei-Jahres-Rhythmus ist für Anhänger von Vereinsmannschaften längst wöchentliche Routine geworden: Sportsbar-Besuche in Deutschland, allein durch Live-Übertragungen von Sky, spülen der Gastronomie nach Erhebungen des Senders Erlöse in Milliardenhöhe in die Kasse.

Logisch, dass die Fußball-Bundesligen und die Champions League in der Regel die meisten Fans anlocken, Formel Eins, Tennis und Co. taugen nur vereinzelt als Besuchermagnet. In Handball-Hochburgen wie Kiel oder Flensburg befüllt auch dieser Sport die eine oder andere Sportsbar ordentlich mit Gästen, Sky hat auch die Rechte an der VELUX EHF Champions League.

Sportsbars haben ursprünglich nichts mit Fußball zu tun

Der Ursprung der Sportsbar hat übrigens herzlich wenig am Hut mit König Fußball. Sie wurde in den USA erfunden, wo bekanntlich andere Sportarten wie American Football, Baseball oder Basketball angesagter sind. Längst gibt es dort große Ketten, die den Sportsbar-Markt dominieren, wie sollte es in den Staaten anders sein.

Sportsbars in den USA: Aufreizend gekleidete Servicekräfte sind Standard

Drei Viertel ihrer Kunden seien männlich, konstatierte kürzlich die Marketingchefin der US-Sportsbar-Kette »Twin Peaks« in einem Interview mit der Huffington Post. »Und die sind einfache Geschöpfe. Man braucht nur kaltes Bier, Sport-TV und schöne Mädchen«, erläuterte sie das Erfolgsrezept. In der Tat sind aufreizend gekleidete Servicekräfte Standard in vielen US-Sportbars.

Servieren die schönen jungen Bedienungen auch Essen mit ihren in Szene gesetzten Dekolletés, ist von »Breastaurants« die Rede – dieser Trend ist aber nicht über den Atlantik zu uns herübergeschwappt.

Fastfood
Auf der Speisekarte einer klassischen Sportsbar findet man häufig
»Classic American Food«, also Burger & Co.
Foto: Marriott/Georg Grainer

Das US-Konzept mit sexy Servicekräften floppte

»Ich habe dieses Konzept ausprobiert, aber es hat nicht funktioniert«, sagt der Kölner Sportsbar-Gastronom Elias Khamassi, »der deutsche Gast kann damit nicht so viel anfangen. Der Burger muss schmecken, der Service top sein. In erster Linie kommen die Gäste nicht, um die Bedienungen zu sehen, sondern den 1. FC Köln oder Bayern München.« Die internationale Kette »Hooters« ging mit ihren Cheerleader-Bedienungen in knappen orangefar­benen Shorts ziemlich baden in Deutschland – acht von neun ihrer Sportsbars ­wurden wieder geschlossen.

Großstadt-Sportsbars müssen mehr bieten als Bundesliga und Champions League
Elias Khamassi, der vor 20 Jahren die Sportsbar »Joe Champs« an der Kölner Partymeile Hohenzollernring eröffnete, ist mittlerweile Franchisegeber, es gibt »Joe Champs«-Sportsbars in Köln, Aachen, Frankfurt/Main und Tunis. »In einer Stadt wie Köln reicht es als große Sportsbar bei Weitem nicht aus, nur Bundesliga und Champions League zu zeigen, um genug Gäste in den Laden zu bekommen. Beim spanischen Clásico (Real Madrid gegen FC Barcelona, d. Red.) sind Monate im Voraus komplett alle Plätze reserviert.«

Das »Joe Champs« erfüllt Fan-Gruppen sogar ausgefallene Wünsche. »Wenn spezielle Anfragen kommen, etwa ob wir eine spezielle Fußball-Liga zeigen, dann machen wir das. Das hat sich herumgesprochen, viele Hotels schicken uns dann ihre Gäste«, sagt Khamassi.

»Modernste Technik ist wichtig«

Die Kölner »Joe Champs«-Filiale liegt gegenüber einer stark frequentierten Shopping-Mall, bietet 400 Plätze auf zwei Ebenen. Auf der Terrasse sind weitere 120 Plätze. Auf der Speisekarte findet man vor allem »Classic American Food« wie Burger, Chicken Wings, Spareribs und Coleslaw. Montags heißt es »All U Can Eat« für 13,99 Euro.

Schmuckstück des 1,5 Millionen teuren Inventars ist die 15 Quadratmeter große LED-Wand, die prachtvoll aufgestellt ist wie eine Theaterbühne. »Für eine Sportsbar ist es total wichtig, die modernste Technik bieten zu können. Die muss natürlich besser sein als beim Gast zu Hause«, so Khamassi.

Sportsbar Mariott
Foto: Marriott/Georg Grainer

Ultrascharf und schwer im Kommen: Live-Sport in Ultra HD

Die Beliebtheit und das urige Ambiente im »Stadion an der Schleißheimer Straße« ­bewahren die Macher nicht davor, immer wieder in die Technik investieren zu müssen. »Wir rüsten immer mal wieder mit neuen Beamern und neuen Fernsehern auf, um den Standard zu halten«, sagt Holger Britzius. »Wenn wir die WM-Qualifikationsspiele von RTL in Standardauflösung zeigen, fällt natürlich schon vielen Gästen auf, dass die Bildqualität schlechter ist als bei den Bundesliga-Spielen am Wochenende.« Die Technik sollte dabei nicht nur am Puls der Zeit sein, sondern auch verlässlich, so Britzius. »Wenn sie versagt, ist es das Horrorszenario eines jeden Sportsbar-Besitzers. Man stelle sich vor: Bayern gegen Dortmund, und in der 87. Minute gibt der Beamer seinen Geist auf. Zum Glück ist uns das noch nie passiert.«

Auch die Hotellerie setzt auf Sportsbars als Gästemagnet. Die Gäste mehrerer Marriott Hotels, zum Beispiel in Leipzig, Wien und München, aber auch externe Besucher können die hoteleigenen »Champions Bars« besuchen. Sie merken schon, der Begriff Champion in all seinen Variationen hat bei der Namensgebung von Sportsbars ziemlich die Nase vorn, kann es in puncto Originalität locker mit den »Venezia«-Eisdielen aufnehmen.

Facts

Pro Spieltag der Fußball-
Bundesliga  strömen ca. 1,36 Mio. Zuschauer in ihre Lieblings-Sportsbar.

Quellen: AGF in Zusammenarbeit
mit GfK; TV Scope; Out of Home Panel – Sky Deutschland/IPSOS;
Sky Go: Adobe/Omniture. 2015

Wenn der Sport pausiert, ist Pfiffigkeit gefragt

Schwierig kann es für Sportsbars werden, wenn kein Sport gezeigt werden kann und Gästeschwund droht. Das »Stadion an der Schleißheimer Straße« wagt immer wieder mal spezielle Events wie das seit Jahren Kultstatus genießende Fußball-Quiz »Schlag den Morawe«. Ex-Profis wie Uli Borowka oder Star-Kommentator Wolff-Christoph Fuss lesen aus ihren Büchern vor, es gab kürzlich ein Dart-Event, auch sportpolitische Diskussionen, zuletzt zum Thema Ultra-Fans, stehen regelmäßig auf dem Programm.

Auch die Wiener »Champions«-Sportsbar setzt auf das eine oder andere unsportliche Event, zuletzt auf eine Halloween-Party. Der Nationalfeiertag der USA wurde mit einer »Fourth-of-July-Party« zele­briert, zu der ein »American All-You-Can-Eat-Buffet« angeboten wurde.

Die Spezial-Veranstaltungen sind keine Selbstläufer im »Stadion«. »Bei dem Überangebot kultureller Angebote in München muss man ganz schön kämpfen, es ziehen eigentlich nur große Namen«, sagt Michael Jachan. Deshalb müsse man die Anfragen von so manchem vorlesewilligen Fußball-Autor abwinken. Bei einem – gut laufenden! – regelmäßigen Event verabschiedet man sich sogar ganz und gar vom Sport: Jeden Sonntag zeigt das »Stadion« den »Tatort«.

Sportsbar-Schichtwechsel: Die einen Fans gehen, die anderen kommen

Aber zurück zum Fußballsamstag, der Krimi wird ja erst tags darauf angepfiffen: Die Bayern schaffen es nicht mehr, Hoffenheim zu schlagen, es bleibt beim 1:1. Die Fans in Rot pilgern wieder aus dem »Stadion an der Schleißheimer Straße«, neue Fans in anderen Trikots strömen dafür herein. Denn um 18:30 Uhr wird das sogenannte »bwin Topspiel der Woche«, Eintracht Frankfurt gegen den 1. FC Köln, gezeigt.

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