Es kann nur besser werden
Foto: iStockphoto

Es kann nur besser werden

Unternehmensgründung in der Pandemie

von Sebastian Bütow
Mittwoch, 03.03.2021
Artikel teilen: 

November 2020: Als andere Gastronomen zum zweiten Mal in diesem verflixten Corona-Jahr ihre Küchen dichtmachen mussten, eröffnete Evrim Karaboga sein Restaurant. Einen Tag nach dem Start des zweiten Lockdowns. Das klingt natürlich erst mal paradox und nach einem verrückten, wenig hoffnungsvollen Vorhaben.

»Klar gab es Leute, die mir das schlechtreden wollten«, erinnert sich Karaboga, »aber davon habe ich mich nicht beeinflussen lassen«, sagt der 25-jährige Gründer-Youngster und klingt dabei ganz unaufgeregt. Sein Lokal »Lyfe« am Moosfeld im Osten Münchens ist seine erste Gründung, ausgerechnet in diesen Zeiten.

»Point of no Return« überschritten

Wie für viele andere Gastronomen, die vermeintlich waghalsig der Pandemie zu trotzen versuchten, war es Karaboga schlicht und einfach nicht möglich, mal eben die geplante Neueröffnung zu stoppen oder zu verschieben. Karaboga hatte den »Point of no Return« überschritten, so nennen es Wirtschafts-Wissenschaftler, wenn nach einer Entscheidung die Umsetzung nicht mehr umkehrbar ist.  

»Es war natürlich hart«, sagt Karaboga. »Nach knapp einem halben Jahr Vorbereitung, angefangen bei der Entwicklung des Restaurant-Konzeptes über die Suche nach der passenden Location, den Ausbau und den Anstrengungen für den finalen Launch, wünscht man sich natürlich andere Voraussetzungen für den Start.«

Im Juli 2020 hatte der junge Gründer den Zuschlag für den Standort im modernen Gewerbe- und Büro-Quartier Centro Tesoro im Münchner Osten erhalten. Einen wie ihn haben sie dort gesucht, um in dem Gebäudekomplex die Gastronomie-Lücke zu schließen. Weil er ein frisches, zeitgemäßes Konzept mit gesundem Essen anbietet, mit Trendspeisen wie Bowles und Wraps auf der Karte, das passt ideal in dieses Umfeld.

Beeindruckend sieht es aus im Lyfe: Sofort ins Auge fällt die stylische Marmortheke, die üppig mit frischem Gemüse und Obst bestückt ist. 55 Plätze drinnen, weitere 80 kämen bei gutem Wetter auf der Terrasse dazu. Große, offene Fensterfronten und eine gemütliche Einrichtung mit viel Holz laden die Gäste eigentlich zum Hierbleiben ein – wenn Corona es nicht verbieten würde.

Lyfe
Evrim Karaboga, Gründer des »Lyfe« in
München. Der 25-Jährige eröffnete einen
Tag nach Beginn des zweiten Lockdowns.
Foto: Lyfe

»Als wir endlich loslegen konnten, kam der zweite Lockdown«

Eigentlich wäre die Eröffnung im September gewesen, aber: »Die Küche konnte nicht pünktlich fertiggestellt werden. Dadurch hat sich alles nach hinten verschoben. Es gab keine richtige Vorbereitungszeit für die Köche, um sich dort einzuarbeiten.«

Letztendlich seien alle Lyfe-Mitarbeiter ins kalte Wasser gesprungen, als es endlich losgehen konnte. Glücklicherweise, so Karaboga, »hatte ich mich bestens vorbereitet und wusste schon vorher, in welche Richtung sich das Ganze positiv gestalten könnte, wenn ein zweiter Lockdown kommen sollte.« Diese Situation hatte er vorhergesehen und sich deshalb einige Wochen vorher mit Lieferando in Verbindung gesetzt.

»Unser Ziel war, dass wir unsere Speisen trotz eines erneuten Lockdowns mithilfe eines Lieferdienstes zu den Kunden bringen können. Ich wusste, dass es an diesem Standort eine Nachfrage gibt nach gesunden und trendigen Speisen – genau das, was wir anbieten.«

Essen von Lyfe
Foto: Lyfe

Positive Bewertungen der ersten Kunden halfen enorm

In einem Teil Münchens, in dem es vorher vor allem Standard-Bestellspeisen wie Pizza, Burger und Pasta zu ordern gab, gelang dem Lyfe ein Volltreffer in die Geschmacksnerven der Ost-Münchner Bestell-Kundschaft, seinen California- und Mexican Bowls sei Dank. Karaboga: »Das Takeaway- und Lieferando-Geschäft hat uns gleich zum Start positive Online-Bewertungen eingebracht. Die Kunden wussten die Qualität unseres Essens zu schätzen, das ist in so einer frühen Phase ganz wichtig.«

»Essen ausliefern, statt Gäste im Restaurant zu bedienen, das ist eine ganz neue Challenge, in die wir erst reinwachsen mussten. Zum Glück hat sich das ganz gut eingegroovt«, sagt Karaboga. Den Lockdown habe er mit seinem Team ganz gut überbrücken können. Ohne diesen wären die Umsätze allerdings »viel, viel besser« ausgefallen.

Der Lockdown bremste das Berliner 12seasons aus

Alles neu! Das Geschäftsführer-Duo Tim Hansen und Vitali Müller, das in Berlin-Mitte erfolgreich das Restaurant Neumond betrieben hatte, wollte in eine andere Location umziehen und – etwas spektakulärer – als »12seasons« neu eröffnen – dann kam der erste Lockdown im Frühjahr 2020. »Diese Zeit haben wir genutzt, um den alten Betrieb abzuschließen und in den neuen reinzugehen«, erzählt Tim Hansen.

Das neue Restaurant sollte das Konzept beheimaten, sich vollständig der Saisonalität zu widmen. Jeden Monat, zwölfmal im Jahr, sollten die Gäste in den Genuss eines neuen Menüs kommen, daher auch der verheißungsvolle Name des Lokals. Hansen: »Wir haben während des Sommers renoviert, wollten Mitte November eröffnen – doch der zweite Lockdown hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

Aus dem geplanten neuen Restaurant, das jeden Monat »den Rhythmus der Natur« neu auf die Teller bringen wollte, wurde deshalb erst mal nichts, aber: »Wir haben dann beschlossen, vor unserer Tür eine Art Markt zu veranstalten und das monatliche Menü als ›Lockdown Menü‹ in vier Gängen anzubieten.«

Der aus der Not geborene Markt12 entpuppte sich als Erfolg. Obst und Gemüse, Eingekochtes und Eingemachtes gab es hier nun ebenso wie Wein und Glühwein. Diese Idee kam gut an bei den Berlinern.

12seasons
Auch die Macher des Restaurants 12seasons wurden von Corona
ausgebremst: Tim Hansen, Kamel Haddad und Vitali Müller.
Foto: Florian Kottlewski

Bestellbare Vier-Gänge-Menüs erobern Berlin

Zunächst nur an den Wochenenden, bot die Küchencrew um den Küchenchef Kamel Haddad zudem »Lockdown Season Menüs« an – Vier-Gänge-Menüs, die in alle Teile der riesigen Hauptstadt ausgeliefert wurden. Updates zum ständig wechselnden Angebot der Speisen gab es via Social Media. »Es war eine große Überraschung für uns, dass wir so intensiv wahrgenommen werden, auch in den weiter entfernten Bezirken, wir liefern von Kleinmachnow bis Tegel«, so Hansen.

»Die vielen Bestellungen haben uns offenbar erreicht, weil wir so präsent waren in all den Zeitungen und Online-Portalen, die über uns berichteten.« Das habe viele Menschen neugierig gemacht, es gingen mehr Bestellungen ein als erwartet.

Autovermieter half dem 12seasons kostenlos

Und dann bekamen Hansen und seine Mitstreiter auch noch überraschende Unterstützung. Die Berliner »Allround«-Autovermietung stellte 30 Autos aus ihrer Flotte verschiedenen Gastro-Betrieben kostenlos zur Verfügung, die Vier-Gänge-Lieferanten von 12seasons kamen ebenso in den kostenlosen Auslieferwagen-Genuss wie zum Beispiel Starkoch Tim Raue und andere namhafte Restaurantbetreiber. Klassisches Win-Win, dem Image der Autovermietung schadet die noble Geste bestimmt nicht.

»Es geht in dieser Phase ums Überleben«

»Zum Glück wurde unser Lieferangebot ganz gut angenommen«, resümiert Hansen, »wir sind aber weit davon entfernt, dass es finanziell Spaß macht. Die Vorbereitung sei immer ein wenig wie im Trüben zu fischen. »Unsere Waren sind alle frisch, beim Außer-Haus-Geschäft lässt sich vorher viel schwerer kalkulieren, welche Mengen die Küche tatsächlich benötigt. Mit unseren Einschätzungen lagen wir meistens einigermaßen richtig.«

Und wie erging es ihm emotional während der harten Corona-Monate, angesichts der vermeintlich schwierigen geschäftlichen Zukunft seines neuen Restaurants? »Ich bin von Haus aus ein sehr ruhiger Mensch, der sich so schnell über nichts aufregt«, sagt Hansen, »aber in manchen Momenten fühlte es sich an wie eine turbulente Achterbahnfahrt.«  

Hansen blickt optimistisch in die Zukunft. »Dass es Einschränkungen gibt, wird noch eine ganze Weile so bleiben. Es kann nur besser werden. Irgendwann werden wir wieder zu einer gewissen Form von Normalität zurückkehren.«

Hotel eins mehr
Im Inklusions-Hotel »einsmehr« arbeiten Menschen mit
Beeinträchtigung gemeinsam mit Fachkräften: Das Ehepaar Sandra
und Raúl Huerga Kanzler blickt trotz Corona optimistisch in die
Zukunft. Foto: martinbeck.de

Auch das Inklusionshotel »einsmehr« eröffnete im Lockdown

Mitten in der Pandemie hat auch das Hotel »einsmehr« eröffnet, das erste Inklusionshotel in Augsburg. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter haben eine Beeinträchtigung, die anderen sind Fachkräfte aus der Hotellerie. Als das Hotel zum Start des zweiten Lockdowns seine 73 Zimmer und Studios im Stadtteil Kriegshaber anbot, zählte Augsburg zu den größten Corona-Hotspots in Deutschland.

Glück im Unglück war die Nähe zur Uni-Klinik

Dass dennoch bis zu zwei Drittel der Zimmer gebucht wurden, lag an der Nähe zum Uni-Klinikum. Ärzte und medizinische Mitarbeiter, die spontan in diesem Krankenhaus eingesprungen waren, hatten sich ebenso hier einquartiert wie Angehörige von Patienten. »Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir diese Gäste aus der Klinik haben«, sagt Sandra Huerga Kanzler, die stellvertretende Direktorin.

Sie leitet auch das Hotelprojekt, das von dem Verein »einsmehr« gegründet wurde und durch Spenden und Zuschüsse zustande kam, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Direktor Raúl Huerga Kanzler. Die beiden sind darauf spezialisiert, neue Hotels auf Eröffnungen vorzubereiten. »Zuvor haben wir hauptsächlich Fünf-Sterne-Häuser geleitet, zuletzt in Marbella. Es hat uns gereizt, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die eine Beeinträchtigung mitbringen – und großes Interesse, als Gastgeber zu arbeiten.«

»In der Bauphase haben wir vieles umgeplant«

Das »einsmehr« befand sich noch in der Bauphase, als die Corona-Krise begann. »Das hatte den Vorteil, dass wir uns noch vor der Eröffnung pandemiegerecht einrichten konnten. Wir mussten nichts umbauen oder nachträglich anpassen, wir haben viele Dinge dann von vornherein so gestaltet, dass es Corona-gerecht wird«, so Huerga Kanzler. Plexiglasscheiben wurden ins Design installiert, die Gestaltung der Rezeption wurde darauf ausgerichtet, dass die Gäste dort genug Abstand voneinander halten. »Desinfektionsspender mussten wir nicht irgendwo in den Weg stellen, wir haben sie in die Wände einarbeiten lassen.«

Bedrohlich fühlt sich an, dass es keine finanziellen Rücklagen gibt, auf die man zurückgreifen könne, und staatliche Hilfe zu beanspruchen, sei auch nicht so einfach, da die Mitarbeiter bereits vom Arbeits- und Inklusionsamt finanziert werden. »Manchmal liegen wir schlaflos im Bett und überlegen: Wo können wir morgen anrufen, um Hilfe zu bekommen?«

Viele Bewerbungen von insolventen Betrieben

Sollte sich die Corona-Krise weiter hinziehen, die Einschränkungen für Hotels und potenzielle Gäste weiter andauern bis hin zum Sommer 2021, »dann würden wir ernsthafte Existenzprobleme bekommen«. Dass es viele Hotels bereits erwischt hat, wurde schon im Sommer 2020 deutlich. »60 Prozent der bei uns eingegangenen Bewerbungen kamen von Betrieben, die in die Insolvenz gegangen sind.«

»Die Politik soll dem Gastgewerbe mehr Vertrauen schenken«

Ihre zuversichtliche Grundhaltung lässt sie sich von Corona nicht nehmen. »Sich Katastrophenszenarien auszumalen, das bringt nichts. Wir schauen nach vorne, bleiben optimistisch, planen von Monat zu Monat. Wir investieren in Qualität, wollen, dass unsere Gäste immer glücklich unser Hotel verlassen.« Von der Politik wünscht sich Huerga Kanzler, »dass man der Branche mehr Vertrauen schenkt. Wir sind in der Lage, Hygienekonzepte- und Maßnahmen umzusetzen und auch darauf zu achten, dass Gäste diese einhalten.«

Weitere Artikel aus der Rubrik Branche Inside

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!