Majestätisch mediterran
Foto: VogelSP via Getty Images

Majestätisch mediterran

Geschichten und Genüsse aus dem Tessin

von Gabriele Gugetzer
Montag, 18.11.2024
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Auf der Suche nach dem einfachen Leben entdeckten junge Aussteiger aus Zürich in den 1980er Jahren die Bergwelt oberhalb von Ascona-Locarno. Sie waren begeistert von den ma­lerisch verfallenden Bauernhäusern, Rustici genannt, und erforschten die Geschichte des Onsernonetals. Sogar ein Heimatkundemuseum wurde unter ihrer Ägide gebaut, das dokumen­tierte, wie arm die Ge­gend war, man deshalb die Kinder nach Mailand verkaufen musste und es manchmal Kastanien oder Alpkäse (mittlerweile herkunftsgeschützt), meist aber nur Polentapampe zu essen gab.

Ilario Garbani hat das Maismehl Farina bóna vor dem Aussterben gerettet
Ilario Garbani hat das Maismehl Farina bóna vor dem Aussterben gerettet und verkauft es heute sowohl in der einstigen Dorfschule Vergelettos wie auch im LEH. Fotos: Ascona Locarno/Alessio Pizzicannella

Der Dorfschullehrer und Farina bóna

Ilario Garbani war damals ein junger Dorfschullehrer in Vergeletto, heute ist die Region ein Paradies für Wanderer. Das Interesse der Aussteiger am Leben der Talbewohner freute ihn sehr. Nur eines fand nicht seine Zustimmung: die Polentapampe. „Sie hatten im Heimatkundemuseum Zubehör zur Zubereitung von Polenta ausgestellt. Bloß schmeckte ihre Polenta schrecklich. Kein Wunder, we­der die Rezeptur noch die zur Herstellung verwendeten Werkzeuge stimmten.“ 

Polenta war fast in Vergessenheit
Polenta war fast in Vergessenheit geraten, heute hat Ilario Garbani sie auf Basis alter Rezepte seiner Familie wieder auf die Genussagenda gehoben. Fotos: Switzerland Tourism/Lorenz Richard/Ticino Turismo

Ja, das Tal war bettelarm gewesen, was Garbani aus eigener Erfahrung wusste, kochen konnte man aber trotz­dem. Um das zu beweisen, be­auftragte er seine Schülerinnen und Schüler, zu Hause bei Oma und Ur­oma nach Rezepten zu fragen. Was die Kinder dann in die Schule trugen, wurde in der Schulküche nach­gekocht, erinnert sich Garbani heute schmunzelnd. Und da kam einiges zusammen, auch an Wissen. Schluss­endlich führte dies sogar zur Wiederentdeckung einer Genusstradition, dem Farina bóna. Hinter diesem „guten Mehl“ versteckt sich Mais, der im Gegensatz zu herkömmlicher Polenta erst geröstet wird, was dem Getreide einen wunderbar nussigen Geschmack beschert. In feinster Körnung ist Farina bóna sogar geeignet für Backwaren. 

Da die letzten Getreide­müh­len in der Region in den 1960er Jahr­en wegen mangelnder Nachfrage schließen mussten, war das Erzeug­nis aber in Vergessenheit geraten. Jetzt wird Farina bóna in der einstigen Dorfschule verkauft und im regionalen LEH. Aus dem Dorfschullehrer hat es einen Lebensmittelproduzenten und schweizweit agie­renden Unternehmer gemacht, der Polenta hat es bei einer jungen Generation zu neuem Ansehen verholfen.

Andrea Barbano serviert im Flamel des Luganodante-Hotels frische, lokal angebaute Produkte – auch aus den eigenen Urban-Farming-Gärten. Inspiriert von Nicholas Flamel werden sogar für die hauseigene Mixology-Bar Spirituosen selbst destilliert.
Andrea Barbano serviert im Flamel des Luganodante-Hotels frische, lokal angebaute Produkte – auch aus den eigenen Urban-Farming-Gärten. Inspiriert von Nicholas Flamel werden sogar für die hauseigene Mixology-Bar Spirituosen selbst destilliert. Foto: Luganodante/Flamel

Geheimtipp Grotto: Genuss im Kühlschrank

Mittlerweile steht Polenta auch in der Tessiner Sterneküche auf der Karte. Aber eigentlich schmeckt sie am besten im Grotto (Plural Grotti). Ursprünglich waren diese oft jahrhundertealten trutzigen Steinhäuser gemeinschaftlich genutzte Kühlstätten, in denen die Bauern Käse, Wurst und andere verderbliche Erzeugnisse aus eigener Produktion lagerten und in denen man sich am Abend auf einen Plausch zu einem Fläschchen Selbstgekelterten traf. 

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