Majestätisch mediterran
Geschichten und Genüsse aus dem Tessin
von Gabriele GugetzerAuf der Suche nach dem einfachen Leben entdeckten junge Aussteiger aus Zürich in den 1980er Jahren die Bergwelt oberhalb von Ascona-Locarno. Sie waren begeistert von den malerisch verfallenden Bauernhäusern, Rustici genannt, und erforschten die Geschichte des Onsernonetals. Sogar ein Heimatkundemuseum wurde unter ihrer Ägide gebaut, das dokumentierte, wie arm die Gegend war, man deshalb die Kinder nach Mailand verkaufen musste und es manchmal Kastanien oder Alpkäse (mittlerweile herkunftsgeschützt), meist aber nur Polentapampe zu essen gab.
Der Dorfschullehrer und Farina bóna
Ilario Garbani war damals ein junger Dorfschullehrer in Vergeletto, heute ist die Region ein Paradies für Wanderer. Das Interesse der Aussteiger am Leben der Talbewohner freute ihn sehr. Nur eines fand nicht seine Zustimmung: die Polentapampe. „Sie hatten im Heimatkundemuseum Zubehör zur Zubereitung von Polenta ausgestellt. Bloß schmeckte ihre Polenta schrecklich. Kein Wunder, weder die Rezeptur noch die zur Herstellung verwendeten Werkzeuge stimmten.“
Ja, das Tal war bettelarm gewesen, was Garbani aus eigener Erfahrung wusste, kochen konnte man aber trotzdem. Um das zu beweisen, beauftragte er seine Schülerinnen und Schüler, zu Hause bei Oma und Uroma nach Rezepten zu fragen. Was die Kinder dann in die Schule trugen, wurde in der Schulküche nachgekocht, erinnert sich Garbani heute schmunzelnd. Und da kam einiges zusammen, auch an Wissen. Schlussendlich führte dies sogar zur Wiederentdeckung einer Genusstradition, dem Farina bóna. Hinter diesem „guten Mehl“ versteckt sich Mais, der im Gegensatz zu herkömmlicher Polenta erst geröstet wird, was dem Getreide einen wunderbar nussigen Geschmack beschert. In feinster Körnung ist Farina bóna sogar geeignet für Backwaren.
Da die letzten Getreidemühlen in der Region in den 1960er Jahren wegen mangelnder Nachfrage schließen mussten, war das Erzeugnis aber in Vergessenheit geraten. Jetzt wird Farina bóna in der einstigen Dorfschule verkauft und im regionalen LEH. Aus dem Dorfschullehrer hat es einen Lebensmittelproduzenten und schweizweit agierenden Unternehmer gemacht, der Polenta hat es bei einer jungen Generation zu neuem Ansehen verholfen.
Geheimtipp Grotto: Genuss im Kühlschrank
Mittlerweile steht Polenta auch in der Tessiner Sterneküche auf der Karte. Aber eigentlich schmeckt sie am besten im Grotto (Plural Grotti). Ursprünglich waren diese oft jahrhundertealten trutzigen Steinhäuser gemeinschaftlich genutzte Kühlstätten, in denen die Bauern Käse, Wurst und andere verderbliche Erzeugnisse aus eigener Produktion lagerten und in denen man sich am Abend auf einen Plausch zu einem Fläschchen Selbstgekelterten traf.